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Die Kraft des radikalen Nichtwissens. Vom Nichtwissen der Dummköpfe zum Nichtwissen der Weisen

Wissen ist Macht. Nichtwissen scheint in unserer Gesellschaft die Domäne der Dummköpfe und Zurückgebliebenen zu sein. In diesem Artikel zeigt Martin Bertsch, dass wir genau besehen nur meinen zu wissen.

Bewusstes Nichtwissen ist das Tor zu einer tieferen Weisheit. Bereits der antike Philosoph Sokrates erkannte, dass das weise Nichtwissen keine Schwäche, sondern eine Stärke ist. Die Kraft des radikalen Nichtwissens ist unumgänglich der Anfang einer menschlichen und spirituellen Reifung.

Das antike „Ich weiss, dass ich nicht weiss“

Nichtwissen macht angst. Es ist für den Durchschnitts-Menschen einfacher, im Netz seines Scheinwissens und gesellschaftlicher Normen gefangen zu sein als sich in den Abgrund des Nichtwissens zu werfen. Doch genau besehen haben wir gar keine Wahl, wenn wir nur achtsam genug werden.

Das wussten schon die antiken Skeptiker. Als einer ihrer ersten Vertreter bekannte Sokrates: „Ich weiss, dass ich nicht weiss„. Mit seiner Methode der Mäeutik, einer philosophischen „Hebammenkust“, wurde für Sokrates das Erkennen ein dialogischer Prozess, der durch das Hinterfragen des Philosophen dazu führt, das der Suchende einen Sachverhalt selber ergründet, und nicht einfach vorgefertigtes Wissen wiederkaut.

Später meinte Arkesilaos, der Leiter der skeptischen Akademie: „Nichts ist sicher, und nicht einmal das ist sicher„. Die Geburtsstunde unserer wissenschaftlichen Kultur ist geprägt von einem tiefen Skeptizismus gegenüber allen Dingen. Alles ist zu hinterfragen, nichts ist sicher.

Wissen ist Macht (Francis Bacon)

Es scheint, dass in der Geistesgeschichte der Menschen genau diese skeptische Vorsicht und Zurückhaltung mehr und mehr zerbröckelte. Im Mittelalter bildete sich eine unheilige Allianz zwischen der Kirche und Wissenschaft und auf einmal wusste man, was man zu wissen hat, wenn einem das Leben lieber war als etwaigen „Ketzern“ wie Giordano Bruno.

Die Philosophie von Francis Bacon legte später unter anderem den Grundstein für die Aufklärung. Seine Ansicht, dass Wissen macht sei, prägte die Revolution des Verstandes, der mehr und mehr zu wissen glaubte, was Sache ist. Die Erde ist rund, sie kreist um die Sonne, die Sonne ist Teil unseres Universums. Der Körper besteht aus Atomen, Deutschland entfachte den zweiten Weltkrieg… Mehr und mehr, durch die Spinnweben einer Allianz aus Wissenschaft, die definiert, was zu wissen ist und der Presse, die weiss, was wir wissen sollen, sehen wir uns eingelullt und verstrickt in einem enger und enger werdenden Kokon des Wissens. Ein Wissen, das uns trennt vom wahren Sein, das sich nur den Kindern und Weisen erschliesst.

Die Ebenen des Wissens und der Wirklichkeit

Er ist noch jung, der wiedergeborene Skeptizismus der alten Zeiten. Mit Imanuel Kant regten sich Zweifel und in der Postmoderne stellt der Konstruktivismus vieles in Frage, was lange als gesichert galt. Zum Beispiel, dass es da draussen eine Welt gibt. Eine Welt da draussen, so das Postulat der neuen Skeptiker, in der wir noch nie waren.

Der Konstruktivismus unterscheidet zwischen zwei Ebenen der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der ersten Ordnung sind Fakten und Tatsachen, die uns die Sinne vermitteln. Die Wirklichkeit der zweiten Ordnung sind Zuschreibungen. Paul Watzlawick erklärt dies anschaulich: Wir sehen ein rotes Licht (erste Ordnung) und machen Zuschreibungen wie stopp, man darf nicht fahren (zweite Ordnung).

Unsere Welt ist voller Zuschreibungen, die so überborden, dass wir das Eigentliche gar nicht mehr beachten. Diesem Abhandenkommen des eigentlich Seienden trauern auch die Mahayana-Buddhisten nach. Auch für sie gibt es zwei Ebenen der Wirklichkeit: Eine Ebene der nicht-dualistischen absoluten Wirklichkeit, die durch die Unmittelbarkeit mit Worten gar nicht beschreibbar ist und eine zweite Ebene der relativen Wirklichkeit, wie unser Ego die Welt wahrnimmt.

Wir können wählen, auf welcher Ebene wir leben, auf der Ebene der relativen Wirklichkeit (hind. Samsara) oder der absoluten Wirklichkeit (hind. Samadhi). „Haben oder Sein“ stellte uns auch der Humanist Erich Fromm dereinst vor die Wahl…

Der Preis des Wissens

Wir scheinen mit unseren Konzepten über die Wirklichkeit so beschäftigt zu sein, dass wir die Ebene des wahren Seins darüber vergessen. Nur Kinder und Weise haben diesen Zugang, Kinder unbewusst, die Weisen bewusst.

Der Preis dieses verstandesbasierten Realitätsverlustes des unmittelbar Seienden ist uns nicht bewusst. Wir verlieren die Begeisterung über das was ist. Kinder lassen sich noch in ihrer Offenheit berühren vom Seienden und sind begeistert. Über fünzig Mal pro Tag, Erwachsene kaum ein Mal, rechnet der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther vor.

„Begeisterung ist der wichtigste Treibstoff für die Entwicklung des Gehirns. Wenn eine Entdeckung unter die Haut geht, werden emotionale Zentren im Mittelhirn aktiviert. Dann setzen diese Zellgruppen vermehrt sogenannte neuroplastische Botenstoffe aus. Sie wirken wie Dünger auf die neuronalen Netzwerke. Nervenzellen produzieren vermehrt Eiweiße, die für Neubildung und Stabilisierung von Nervenzellkontakten gebraucht werden. Deshalb lernen Kinder, aber auch Erwachsene immer dann besonders gut, wenn sie begeistert sind.“ (Welt)

Unser Verstand enthob uns des Seienden und unser eigenes Sein und damit auch unser Hirn vertrocknet in der künstlichen Welt der abgeschnittenen Welt der bedeutungslosen Bedeutung. Gibt es eine Rettung?

Wenn ihr nicht werdet wie Kinder

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen“ (Math. 18:3) soll einer einst gesagt haben, der die westliche Welt mit seinen unerschütterlichen Reden geprägt hat.

Nur, sollten wir uns etwa zurückbewegen? Nicht wirklich meinen die Integralen Theoretiker, aber das unreife Leben und das reife Leben haben Änlichkeiten. In den zirkulären Weltwirklichkeiten berühren sich Anfang und Ende.

Nachfolgendes Schaubild gibt einen Überblick über die Entwcilungsstufen des Menschen und das Werden des Verstandes und Rollenselbstes. Nach der Mitte des Lebens wird der Zenit überschritten und das Ich-Selbst / Rollenselbst transzendiert sich in etwas Grösseres. Die spirituelle Geburt steht an, Viele scheitern weit vorher…

Ich selber kann micht gut erinnern, als ich zum erten Mal als kleiner Knopf geahr wurde, dass bei Auto ein Rohr stinkende Gase in die Umwelt verpuffte und ich frage erschrocken besorgt meinen Vater, was aus der Welt wird, wenn dieser Gestank nicht aufhört. Ich wurde von Parolen meines Vaters beschwichtigt, und so weicht die Kindliche Neugier und Unschuld im Nichtwissen einem Scheinwissen. Die Mechanik der Photosynthese verdrängt im verbildeten Menschen der Gegenwart ein unsagbares Wunder der Natur. Das Leben, Entfaltung und Werden verblasst hinter Formeln der Evolutionsbiologie und so weiter und so weiter. Das Leben verblasst, aber es verblasst nicht nur hinter Büchern, es verblasst auch in uns.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Wenn wir beginnen zu hinterfragen, erscheinen zaghaft hinter frostigen Schichten die Farben des Lebens. So wird der reife Mensch, wenn er es zulässt und zulassen kann, sich dem Leben wieder öffnen und wie einst Sokrates verstehen, dass er nicht weiss, nicht wirklich weiss. Er wird die Kraft des radikalen Nichtwissens mehr und mehr begreifen. Vielleicht wie der Weise Zhuangzi, der nicht einmal mehr weiss, was Leben selbst ist:

Gestern Nacht träumte ich…

Gestern Nacht träumte ich,

ich wär ein Schmetterling

und flog von Blume zu Blume.

Da erwachte ich und siehe:

Alles war nur ein Traum.

Jetzt weiß ich nicht:

Bin ich ein Mensch der träumte,

er sei ein Schmetterling,

oder bin ich ein Schmetterling,

der träumt, er sei ein Mensch?

In diesen Zeilen schwingen tiefe Weisheiten, die unser Verstand nicht fassen kann. In Webinaren, Kursen und Ausbildungen vermittelt die Visions Schmiede dieses Verständnis jenseits des Verstandes als Grundlage der spirituellen Entwicklung.