Hochsensibilität, Hochbegabung und Barbara Shers Scanner-Typen haben viele Gemeinsamkeiten. Hier eine kurze Video-Einführung von Barbara Sher über Scanner (mit deutscher Übersetzung):
Es kann sehr hilfreich sein, wenn Scanner (wie auch Hochsensible) ihre Wesensart besser verstehen. Weiter unten einige Auszüge aus Barbara Shers Buch über Scanner „Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast“ (dtv-Verlag). (weiterlesen unten klicken)
Scanner lieben es, zu lesen und zu schreiben, zu reparieren und Dinge zu erfinden, Projekte und Geschäftsideen zu entwickeln, zu kochen, zu singen und perfekte Dinnerpartys zu geben. (Sie werden bemerken, dass ich nicht das Wort „oder“ verwende, denn Scanner mögen nicht das eine oder das andere, sondern alles.) Ein Scanner lernt vielleicht voller Begeisterung Bridge oder Boccia, aber sobald er es einigermassen beherrscht, verliert er möglicherweise die Lust daran.
Für Scanner ist die Welt wie ein riesiger Süssigkeitenladen voller Verlockungen. Und am liebsten würden sie mit beiden Händen zugreifen und sich die Taschen vollstopfen.
Das klingt eigentlich wunderbar, nicht wahr? Das Problem ist nur, dass Scanner im Süsswarenladen verhungern. Sie denken, dass sie nur von einer Süssigkeit naschen dürfen. Dabei wollen sie von allen naschen. Wenn sie sich zu einer Entscheidung durchringen, sind sie ewig unzufrieden. Doch in der Regel treffen Scanner gar keine Entscheidung. Und es geht ihnen nicht gut dabei.
Als Kindern ging es den meisten Scannern großartig. In der Schule hatte niemand etwas gegen ihre vielseitigen Interessen einzuwenden, schließlich ist in jeder Schulstunde ein anderes Fach dran. Aber spätestens in den höheren Klassen oder kurz danach wird erwartet, dass man sich entscheidet, und hier wird es für den Scanner problematisch. Während andere sich ohne Schwierigkeiten auf ein Fach festlegen können, ist ein Scanner dazu einfach nicht in der Lage.
Wir wissen: Als Hans-Dampf-in-allen-Gassen wirst du es nirgendwo zur Meisterschaft bringen. Du bleibst immer ein Dilettant, ein Amateur, ein oberflächlicher Mensch – und beruflich wirst du es gewiss nicht allzu weit bringen. Und so verwandelt sich ein Scanner, während seiner ganzen Schulzeit ein lernbegieriger Schüler, schlagartig in einen Versager.
Würde die Welt Scanner einfach weiterhin so akzeptieren, wie sie sind, dann hätten Scanner keinerlei Probleme. Sie müssten sich ledig- lich ein paar Managementtechniken aneignen und quer zur vorherrschenden Meinung zu sich selbst stehen. Sobald ein Scanner erkennt, wer er ist, und nicht länger versucht, ein anderer zu sein, verschwinden in aller Regel die Gefühle der Un- zulänglichkeit, Scham, Frustration sowie seine Unentschlos- senheit und Handlungsunfähigkeit.
Offensichtlich sind Scanner ein ungewöhnlicher Menschenschlag. Meist fällt ihnen das aber gar nicht auf, da sie nicht oft Menschen treffen, die so sind wie sie.
Woran erkennen Sie, ob Sie ein Scanner sind?
Um diese Frage zu beantworten, sollten wir zunächst klären, wer kein Scanner ist.
Klar, Spezialisten sind keine Scanner. Wenn Sie in einem Bereich völlig aufgehen und sich dort fühlen wie ein Fisch im Wasser, nenne ich Sie einen »Taucher«. Zu dieser Kategorie zählen eindeutig Profimusiker, Wissenschaftler, Mathematiker, Profischachspieler, Sportler, Geschäftsinhaber und Bankiers. Diese Menschen können sich bei einem Hobby zwar entspannen, aber ihre wahre Leidenschaft gilt eigentlich ausschliesslich ihrem Arbeitsgebiet. Taucher wundern sich sogar häufig darüber, dass es anderen Menschen nicht so geht wie ihnen.
Im Gegensatz dazu sind Scanner immer begierig zu erfahren, was es da draußen in der Welt noch so alles gibt, und stecken ihre Nase gerne in alles Mögliche. Ein Taucher verschwendet kaum einen Gedanken daran, was er alles verpassen könnte – ein Scanner dagegen verbringt viel Zeit damit, den Horizont abzustecken und über seinen nächsten Schritt nachzudenken.
Elaine, ein Beispiel von Barbara Sher:
Elaine hat ein paar Stunden für sich, was nicht oft vorkommt, und sie hat sich entschlossen, etwas zu tun, das ihr wirklich Spass macht. Was das genau ist, steht noch nicht fest, aber es wird nicht schwer sein, etwas zu finden, weil sie so viele Dinge gerne tut.
Sie steht vor einem grossen Tisch in ihrer Werkstatt und betrachtet zwei angefangene Projekte, die sie bisher nie zu Ende gebracht hat. Links neben ihr stehen zwei Körbe mit buntem Garn, daneben liegen eine Tube Klebstoff und eine Mappe mit Tonpapier. Allein beim Anblick dieser Dinge bekommt sie feuchte Hände. Sie bastelt für ihr Leben gern und hat einer Freundin schon vor Monaten ein Album versprochen. Sie vermeidet es, ihren Blick zu den Regalen hinter dem Tisch schweifen zu lassen, wo ein Klumpen Ton in einer Plastiktüte verstaut ist, daneben einige Holzwerkzeuge. Wenn sie mehr Zeit hat, fertigt sie das Tongefäss an, das sie bereits im Kopf hat. Diese grossartige Idee kam ihr, als sie vor einer Weile ein paar Bildbände über Antiquitäten durchsah. Aber am liebsten würde sie gleich damit anfangen.
Sie zwingt sich, wieder auf den Tisch zu schauen. Direkt vor ihr liegen – noch in der Einkaufstüte – vier Bücher über die Geschichte Polens, die sie schon vor Monaten gekauft hat. Ausserdem enthält die Tüte ein Päckchen Tonkassetten und ein Gerät, mit dem sie Telefongespräche aufzeichnen kann. Sie möchte gerne Interviews mit den älteren Mitgliedern ihrer Familie führen, die alle aus Polen eingewandert sind. Doch seit sie die Bücher in der Buchhandlung entdeckt hat, hatte sie noch keine Minute Zeit hineinzusehen. Sie liegen auf dem Tisch wie ein verlockendes Dessert, das sie sich aufhebt, um es zu genießen, sobald die Hausarbeit erledigt ist. Aber einige Verwandte werden alt – sie sollte sie wirklich bald anrufen. Elaine überlegt, ob sie sofort zum Hörer greifen sollte, um ein paar Telefontermine mit ihren Familienangehörigen zu vereinbaren und auszuprobieren, wie das Aufnahmegerät funktioniert. Sie vermisst ihre Tante Jessie.
Doch rechts von ihr steht, an den Tisch gelehnt, eine hohe, schlanke Schachtel, in der sich originalverpackt das E-Piano befindet, das sie sich vor drei Monaten zum Geburtstag gekauft hat. Sie könnte es in zwanzig Minuten aufbauen, wenn es nur ein freies Fleckchen im Haus dafür gäbe. Elaine weiß, dass das Klavier einen festen Platz braucht, denn wenn sie es jedes Mal wieder wegpacken muss, wird sie nie darauf spielen. Aber wer hat schon die Zeit, eine einzige Stelle freizuräumen, wenn eigentlich das ganze Haus ausgemistet werden müsste?
Wenn sie fünf Personen auf einmal wäre und nicht nur eine, dann könnte sie das alles machen. Sofort. Noch heute. Sehnsüchtig blickt sie auf die schwarzen und weissen Tasten, die auf der Pianoverpackung abgebildet sind, und kann fast die Töne hören. Ihre Stimme scheint sich mit Musik zu füllen, und ihre Finger erinnern sich daran, wie sich die Tasten anfühlen. Könnte sie die Verpackung nicht einfach hier in der Werkstatt öffnen und vor dem Abendessen noch ein bisschen spielen?
Nein! Elaine hat ihrer achtjährigen Tochter ein Kostüm für eine Party versprochen, die in ein paar Wochen stattfindet. Deshalb sollte sie als Erstes damit anfangen und alles andere auf einen anderen Tag verschieben.
Aber plötzlich kommt ihr wieder die tolle Idee in den Sinn, die sie heute auf dem Nachhauseweg im Auto hatte – eine Idee, wie sie sich etwas dazuverdienen könnte, die garantiert funktio- nieren würde und für die sie nur sehr wenig investieren müsste. Und sofort steigt in Elaine das vertraute Gefühl auf, dass sie sofort aktiv werden muss, weil die Idee – wie alle ihre anderen guten Ideen – sonst weg ist.
Alles, was sie sieht oder worüber sie nachdenkt, findet sie prickelnd und fesselt ihre Aufmerksamkeit. Sie will alles machen. Aber dann steckt sie völlig fest und macht am Ende nichts von alledem. Sie könnte ebenso gut putzen oder einkaufen gehen. Sie seufzt und geht nach draußen an die frische Luft. Wollte sie heute nicht joggen gehen? Ihr Hund trottet hinter ihr her und fragt sich, was sie bedrückt. Genau das fragt Elaine sich auch.
Elaine hat keine Aufmerksamkeitsstörung. Das hat sie schon vor Jahren medizinisch abklären lassen. Und sie weiß auch, dass sie sich nicht von unwichtigen Dingen ablenken lässt, wenn sie einmal an einem Projekt arbeitet.
Was also hindert sie daran? Warum ist sie so unentschlossen? Warum ist sie überhaupt so vielseitig interessiert? Warum fängt sie voller Begeisterung etwas an, doch dann geht ihr der Dampf aus, und sie hinterlässt lauter unabgeschlossene Projekte? Sie nimmt ihren Freunden und ihrer Familie nicht übel, dass sie wissend lächeln, wenn sie sich wieder in etwas Neues stürzt. Das lässt sie an sich abprallen – aber es nervt sie, dass sie fast nie zu einem Ergebnis kommt.
Aber wofür soll man sich bei so vielen Interessen denn entscheiden? Was ist das Richtige? Was das Wichtigste? Und dann fällt ihr noch etwas ein: Wollte sie nicht eigentlich ihre Spa- nischkenntnisse auffrischen, um nächstes Jahr vielleicht Teilzeit als Spanischlehrerin zu arbeiten und dadurch ihre Finanzen aufzubessern?
Elaine schüttelt den Kopf und verspürt fast schon eine Abneigung gegen die neue Idee und auch ein leises Gefühl der Ver- zweiflung. Immer wieder gerät etwas Neues und Interessantes in ihr Blickfeld, und selbst wenn sie das alles ignoriert und sich fest für ein Vorhaben entscheidet, sind die neuen Gedanken so mächtig, dass sie dann doch ins Grübeln kommt.
Die meisten Menschen, die sie kennt, wissen genau, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Warum pickt sie sich nicht einfach etwas heraus und zieht es durch? Sie ist doch gescheit. Und hat man ihr nicht gesagt, dass sie alles schaffen kann? Warum legt sie nicht einfach los?
Kommt Ihnen das bekannt vor?
Die Lage ist verzwickst, aber die gute Botschaft von Barbara Sher: Wenn Scanner nicht meinen würden, sich auf einen Bereich beschränken zu müssen, wären 90 Prozent ihrer Probleme gelöst!